Frühjahr 2021 Der erste Einblick im Jahreskreislauf

Fachlicher Input Prof. Hermann Bürstmayr

Textgestaltung Prof. Hermann Bürstmayr und Carina Doppler

Ein erster Eindruck

Ein schöner Tag im Juni, der Himmel blau, endlich scheint die Sonne und es wird wärmer nach dem kühlen, feuchten Frühjahr. Der Wind sucht sich den Weg durch die Ähren der wunderschönen Gräser, die jetzt im schönsten Glanz erstrahlen und jetzt – einmal von der Aussaat abgesehen - am Beginn ihrer Jahreszeitenreise stehen.

Wir befinden uns hier am Versuchsfeld der Universität für Bodenkultur, Department für Nutzpflanzenwissenschaften. 200 Parzellen angelegt vom Institut für Pflanzenzüchtung, unter der Leitung von Herrn Univ. Prof. Hermann Bürstmayr, auf der Südseite des Universitäts- und Forschungszentrums Tulln (kurz UFT). Prof. Bürstmayr hat sich Zeit genommen, um etwas über die Historie, die Sorten und den Aufbau der Versuchsfläche zu erzählen. Danke noch einmal dafür!

Die Systematik der Parzellen kann man mithilfe des Anbauplanes vor Ort an der Infotafel ganz leicht selbst nachvollziehen. Es finden sich bei jeder Getreidesorte Etiketten, die mit dem Plan übereinstimmen und so kann man sich gut zurechtfinden.

Die Gerste

Herr Prof. Bürstmayr beginnt unsere Besichtigung mit der Gerste. Sie fällt durch lange, grüne Grannen auf. Interessant, ich persönlich verbinde ja doch eher die reifen, hellen Grannen mit dem typischen Bild einer Getreideähre. Ich werde eines Besseren belehrt. Wozu eigentlich Grannen? Naja, man stelle sich eine Feldmaus, einen Feldhamster oder was auch immer vor. Sie streifen mit Ihrem Fell bei ihrem „Feldzug“ an und nehmen die Grannen und somit die Körner mit und helfen der Pflanze, sich zu verbreiten.

Die Gerste steht irgendwie für mich hier symbolisch „am Beginn“. Die Pflanzenzüchtung ist eine ‚alte‘ Tätigkeit, aber eine junge Wissenschaft. Begonnen hat die Züchtung vor 10000 Jahren mit der Zähmung (Domestikation) der ersten Kulturpflanzen. Die wissenschaftliche Pflanzenzüchtung  hat ihren Ursprung von vor ca. 150 Jahren genommen. Die Gerste war mit dabei bei den ersten Kulturpflanzen und diente wohl von Anfang an als Nahrungsmittel und zum Bierbrauen.

Aber nicht nur gegen den Durst sondern auch gegen den Hunger half sie: Schon aus der Bibel ist die Geschichte der Brotvermehrung bekannt, aus einer Zeit in der Gerste ein wichtiges Brotgetreide war. Gerstenbrot war einmal das „arme Leute Brot“, die Reichen leisteten sich den Weizen. Als Nahrungspflanze geriet die Gerste ein wenig in Vergessenheit. Erst in den letzten Jahren kommt sie wieder in Mode, während im Himalaya und in den Anden Gerste nach wie vor ein Grundnahrungsmittel ist. Spannend finde ich noch die violette Wintergerste, eine Landsorte (was das ist, dazu komme ich noch), die sich von schwarz bis hin zu rot verfärbt. Der Farbwechsel wird wahrscheinlich noch im Juni stattfinden, meint Herr Prof. Bürstmayr. Und unglaublich: ihr Anbau bei uns ist belegt seit der Hallstattzeit.

Und wenn wir schon so weit in die Geschichte eintauchen, die sogenannte Tschermak-Sorte finden wir hier auch und müssen natürlich kurz innehalten und erwähnen: Tschermak war der erste Professor für Pflanzenzüchtung an der BOKU.

Ein kleiner Exkurs zur Züchtung

Eine besondere Art in der Züchtungsgeschichte nimmt Triticale ein. Es ist gelungen durch eine Kreuzung aus Weizen und Roggen – aus der Diva und dem Robusten – eine neue Kulturart zu formen. Die hat sich am Lebensmittelmarkt allerdings nicht durchgesetzt, dient aber als Futtergetreide und ist unter anderem im Biolandbau beliebt.

Der Roggen

Und schon geht unsere Reise weiter und wir ziehen um in Reihe 2 zum Roggen – wir stehen vor dem Lungauer Roggen. Ja richtig gehört, Lungau. Wie so oft deutet der Name – wie man vermuten kann -auf die Herkunft hin. Das beginnt beim Lungauer, geht über den Marteller bis hin zum Petroneller.

Bis nach Südtirol war und sind nach wie vor solche Sorten vertreten. Dort wo diese Sorten nicht mehr angebaut werden, sind da und dort noch bestimmte Relikte Zeitzeugen, wie zB alte Mühlen, die an den Anbau in diesen alpinen Lagen erinnern. Neben Südtirol und dem Bundesland Salzburg, fand die Verbreitung auch nach Tirol und in die Steiermark statt. Heute sieht man davon eben nur mehr wenig. Der Strukturwandel hat in diesen Gegenden Vieh- und Milchwirtschaft gebracht und den Getreideanbau zum (Groß)teil ersetzt. Richten wir den Blick nach Niederösterreich, so muss man erwähnen dass zB im Waldviertel die Roggenzüchtung lange Tradition hat und das mit sehr gutem Populationsroggen. Am Feld finden wir auch die neuesten Hybridsorten von Züchtern in Deutschland.

Was mich jetzt echt fasziniert und ich so nicht wusste: wurde doch Roggenstroh früher zum Dachdecken verwendet. Die Länge der Halme, stimmt, wenn man so genau hinsieht und darüber nachdenkt?! Wie lange hielt das dann? Kaum zu glauben: 30 bis 40 Jahre waren diese Dächer dicht. Aber natürlich war das leider auch eine feuergefährliche Angelegenheit.

Mittendrin finden sich dann, wie Prof. Bürstmayr es nennt, Standardparzellen von Weizen, diese dienen dazu in der statistischen Auswertung der Ertragsdaten allfällige Bodentrends zu erkennen und zu korrigieren.

Heute lerne ich wirklich viel dazu. Ich habe noch nie bewußt eine Getreideblüte wahrgenommen. Man erkennt auf einem der Bilder sehr gut die Staubgefäße der Blüten. Roggen ist ein sogenannter Fremdbefruchter, deshalb ist der Pollenflug sehr stark, im Gegensatz zur Gerste zB, die kleine Staubgefäße besitzt, die oft in der Blüte verborgen belieben, die Gerste ist nämlich ein Selbstbefruchter.

Leider ist es uns an diesem Tag nicht gelungen, den Pollenflug am Foto einzufangen, umso mehr lohnt es sich, das bei einem Besuch jetzt im Frühjahr noch schnell selbst zu beobachten.

 

 

Der Dinkel

Und schon sind wir bei den Dinkelparzellen angekommen: mit seinen breiten Blättern sieht er doch eher aus wie, ja, wie Gras. Und Getreide ist ja auch nichts anderes als ein Gras. Was fällt sofort auf? Genau, Dinkel hat keine Grannen. Stimmt so nicht ganz, ebenso wie bei anderem Getreide gibt es Sorten mit oder ohne Grannen. Zwischen unserem Text und den Bildern und einem weiteren Besuch am Feld vergehen ca. 48 Stunden und tatsächlich sehe ich 2 Tage später bei dieser Sorte die Grannen hervortreten. Da tut sich wirklich immer etwas und mitunter sehr schnell.

Der Dinkel entstammt alpinen Lagen aus Ländern wie der Schweiz, Österreich, Süddeutschland und auch aus dem Kaukasus. Was sofort ins Auge sticht: die großen, festen Körner. Er unterscheidet sich einfach sehr stark in seinem gesamten Aussehen von anderen Getreidearten.

Der Weizen

Und so wandern wir weiter zu unserer letzten Teilstation innerhalb der unzähligen Parzellen. 200 kleine Felder sind es heuer, gerade der Standort Tulln ist ja dafür wie gemacht: viel Platz eben. Die schönen großen Versuchsflächen machen den Anbau leichter. 200, aber in Wahrheit könnten es tausend(e) sein, so viel Material haben unsere Züchterinnen und Züchter in ihrem Vorrat.

Der Weizen ist ein mannifaltiges Getreide, es gibt sogenannten Einkorn-, Emmer-, und Brotweizen. Aus der natürlichen Kreuzung aus Einkorn und einem Wildgras entstand der Wilde Emmer. Wollen Sie wissen ca. wann? Sage und schreibe 500.000 Jahre muss man zurückschreiten auf der Zeitlinie. Ursprünglich stammt er aus der Region des sogenannten fruchtbaren Halbmondes, der sich geografisch ca. vom persischen Golf über den Irak, Israel bis Palästina usw. weithin zieht. Zu dieser Emmergruppe gibt es wieder einmal ein spannendes Detail. Vormals gab es Gräser, dann rührte die Natur in der Züchtungssuppe kräftig um und es entstand wilder Emmer, daraus entwickelten die Menschen den Kulturemmer. Erst vor etwa 10.000 Jahren entstand die heute bei weitem bedeutendste Getreideart, der Brotweizen, und ist somit eine recht junge Pflanzenart.

Und wer kennt ihn nicht, den Durumweizen. Sicher schon einmal gehört oder gelesen. In aller Munde, im wahrsten Sinn des Wortes, finden wir ihn in Hartweizennudeln. Durum steht für hart und gibt demnach gerade die für Nudeln wichtige Bissfestigkeit (pasta al dente).

 

Und dann, auf einmal, mittendrin steht sie: die Wiener Probe 1877 vom Namensgeber der Sammlung: Haberlandt. Kurz verweilen wir hier und lassen die Geschichte und den Grundstein für die Idee der Schauparzellen auf uns wirken.

 

Weiter geht es und so finden wir hier auch alte türkische Sorten, den amerikanischen Prärieweizen Cheyenne und eines unserer Babys, die Weizensorte Midas. Aber ja, es gibt auch richtige Babys: wir stehen jetzt schon fast an der Straße nahe des Versuchsfeldes und sozusagen in der Neuzeit. Hier finden wir auch die jüngsten „Kinder“, also Sorten die ganz neu sind und erst 2020 frisch zum Anbau zugelassen wurden. Unsere ZüchterInnen beziehen Jahr für Jahr neue Züchtungssorten. Zu den Partnern gehören zB die SZ Donau, der Edelhof, aber auch Züchtungen aus dem Ausland wie aus Frankreich oder Deutschland, die wir dann über Händler wie die RWA beziehen können, finden bei uns Eingang in die Versuchsparzellen. Unseren ZüchterInnen gelingt es dann in weiterer Folge, viele Sorten selbst zu erhalten. Klarerweise gedeihen bei uns auch Sorten aus anderen Ländern, sofern diese bei uns ähnliche Umweltbedingungen vorfinden wie in ihrem "Heimatland", gleiches gilt für österreichische Sorten im benachbarten Ausland.

Das Ende eines interessanten Streifzuges

Und auf einmal ist Reise in die Zeitgeschichte vorbei und die Gegenwart holt uns ein. Die vielen Eindrücke zu verarbeiten, wird Zeit brauchen.

Wir hoffen ja im Jahr 2022 wieder auf einen Open Day unter Leitung der ExpertInnen, die dann vor Ort dem Publikum die Fakten und historischen Hintergründe persönlich näherbringen können. Zielgruppe sind zB Schulklassen, interessierte MitarbeiterInnen und alle, die sich für Geschichte und Nutzpflanzen begeistern wollen.

So, durchgeackert. Ich freue mich schon auf die nächste Jahreszeit am Feld und was uns da dann alles Spannendes erwarten wird. Wir laden Sie jederzeit herzlich zu einem Besuch hier auf unserer Website ein.