"Atomkraftwerke eignen sich sehr schlecht als Lückenbüßer." Nikolaus Müllner vom Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften der BOKU. (c) BOKU

Lange geplant und nun doch in Bedrängnis: Durch die aktuelle Energiekrise könnte Deutschlands endgültiger Ausstieg aus der Kernenergie noch einmal ins Wanken geraten. Finales Aus, verschieben oder gar eine atomare Zukunft? Die Wissenschaft diskutierte am 13. Wiener Nuklearsymposium der BOKU Wien ein hochaktuelles Thema und zeigt, welche enormen Konsequenzen an dieser Entscheidung hängen. 

Kernenergie prägte die öffentliche Diskussion in diesem Jahr wie lange nicht: Massive Besorgnis durch die Erfahrungen im Ukrainekrieg, hitzige Diskussionen über die „grüne“ Etikettierung von Kernenergie durch die EU-Taxonomie-Verordnung und zuletzt wachsende Zweifel am endgültigen Ende der atomaren Ära in Deutschland. Planmäßig sollen zum Jahresende 2022 auch die letzten drei noch laufenden Reaktoren (Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2) vom Netz genommen werden. Inmitten der aktuellen Energiekrise werden nun Stimmen laut, die stattdessen einen dreimonatigen Stretch-out der Reaktoren oder sogar den Ausstieg vom Ausstieg verlangen.

„Es gibt Überlegungen, dass zwei der drei Atomkraftwerke zwar vom Netz gehen, sich aber noch bis Ende März 2023 bereithalten sollen, falls sie von der Netzagentur angefordert werden“, erklärt Nikolaus Müllner vom Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften der BOKU Wien. Doch Atomkraftwerke eignen sich sehr schlecht als Lückenbüßer, so der Experte, und das aus mehreren Gründen: Da Deutschland seinen Ausstieg bereits sehr lange plane, liege die letzte Revision des Regelwerks über zehn Jahre zurück. Auch eine große Sicherheitsüberprüfung der Reaktoren, die normalerweise alle zehn Jahre ansteht, wäre 2019 fällig gewesen, entfiel jedoch aufgrund des Ausstiegs. Zudem seien zwar noch überschüssige Reserven vorhanden, doch für einen Weiterbetrieb müsse man neue Brennelemente kaufen und durch das Zurücknehmen von Studiengängen fehle auch das Fachpersonal, so Müllner. Selbst für einen dreimonatigen Stretch-out des Betriebs, wäre eine Neugenehmigung erforderlich. Wichtige Sicherheitsaktualisierungen wären dafür Voraussetzung. Beispielsweise müssen Kernkraftwerke so ausgelegt sein, dass sich Auswirkungen einesKernschmelzunfalls auf das jeweilige Reaktorgelände beschränken, was derzeit auf keines der bestehenden Kernkraftwerke zutrifft.

Für einen völligen Ausstieg vom Ausstieg müsse man die Reaktoren mindestens zwei Jahre vom Netz nehmen und alles nachholen, was man nicht gemacht habe, weil man die Anlagen vom Netz zu nehmen beabsichtigte. „Ökonomisch würde das nur Sinn ergeben, wenn man Laufzeiten von mindestens zehn Jahre plant“, erklärt Müllner. Dass Betreiber auf einen derart langfristigen politischen Willen vertrauen, sei fraglich. „Außerdem ist die Energiepolitik in Deutschland, Österreich und anderen Ländern nicht unabhängig zu betrachten, sondern muss auch im europäischen und globalen Kontext gesehen werden“, ergänzt Wolfgang Liebert, Leiter des Instituts für Sicherheits- und Risikowissenschaften. Mit breitgefächerten Fachvorträgen zeigte das diesjährige Wiener Nuklearsymposium, welche Überlegungen dazu angestellt werden müssen, wie die aktuelle Lage der Energiewende aussieht und zog Bilanz über die nukleare Ära Deutschlands im Hinblick auf eine nachhaltige Zukunft Europas.

Das Wiener Nuklearsymposium in Zusammenarbeit mit der Wiener Umweltanwaltschaft fand heuer bereits zum 13. Mal statt. Jedes Jahr stehen aktuelle Themen der Kernenergie im Fokus der Diskussion.

Nähere Informationen finden Sie unter: nuklearsymposium.at/

Beiträge zum Nachsehen:
https://www.youtube.com/playlist?list=PL8nmJRi21moFoQ-O_SBAdy6ng2htJjCCJ

Kontakt: 
Dr. Nikolaus Müllner
Universität für Bodenkultur
Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften
E-Mail: nikolaus.muellner@boku.ac.at
Tel.: +43 1 47654 81820