In einer aktuellen Studie berechnen Forscher*innen der BOKU und der IIASA, welchen Beitrag landwirtschaftliche Biomasse weltweit zur zukünftigen Energieversorgung leisten kann. Dieses Potential wurde in früheren Studien meist zu optimistisch eingeschätzt; darüber hinaus müssen auch systemische Effekte wie Landnutzungsänderungen, Auswirkungen auf Kohlenstoffbestände in Böden und nicht zuletzt auch Artenvielfalt berücksichtigt werden. Die Studie wurde in „Environmental Research Letters“ veröffentlicht. 

Das globale Potenzial von Biomasse zur Energieerzeugung ist trotz umfangreicher Forschung Gegenstand anhaltender Kontroversen. Grund dafür sind große Unsicherheiten hinsichtlich zukünftiger Entwicklungen, etwa bei landwirtschaftlichen Erträgen oder Trends bei Ernährungsgewohnheiten. Insbesondere eine Zu- oder Abnahme des Fleischkonsums würde sich stark auf die Verfügbarkeit landwirtschaftlicher Flächen für Bioenergie auswirken. In den allermeisten Szenarien, die mit ehrgeizigen Klimazielen vereinbar sind, spielt landwirtschaftliche Biomasse eine zentrale Rolle für die globale Energieversorgung. 

Biomassepotentiale hängen stark von unsicheren Faktoren ab
Die Forscher*innen vom Institut für Soziale Ökologie der Universität für Bodenkultur Wien verwenden das globale Biomassebilanzmodell BioBaM-THG, um weltweite Biomassepotentiale abzuschätzen. Dafür werden die Nachfrage und Produktion an landwirtschaftlichen Produkten, mögliche Änderungen der Flächennutzung sowie die Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft für verschiedene Entwicklungspfade berechnet. Die Ergebnisse geben Aufschluss darüber, welche Mengen an Biomasse unter diversen Rahmenbedingungen zur Energieerzeugung genutzt werden können, und wie sich dies auf die gesamten Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft auswirkt.

Große Unterschiede bei Treibhausgasbilanzen landwirtschaftlicher Rohstoffe 
Neben eigens angebauten Energiepflanzen, denen gemeinhin das größte Potential zugeschrieben wird, können Ernterückstände wie Stroh oder auch Gülle zur Energieerzeugung eingesetzt werden. Hinsichtlich der Treibhausgasbilanz ist die Nutzung von Gülle in Biogasanlagen klar zu bevorzugen, da durch die Biogasgewinnung die bei anderen Güllesystemen anfallenden Methan- und Lachgasemissionen weitgehend verhindert werden können. Die energetische Nutzung von Ernterückständen führt längerfristig zu einer Reduktion des Kohlenstoffbestandes in Böden. Je mehr Biomasse energetisch genutzt wird, umso stärker kommt dieser Effekt zum Tragen und vermindert somit den erwünschten Klimaeffekt des Umstiegs von fossilen Energieträgern auf Biomasse. 

Ähnlich verhält es sich mit eigens angebauten Energiepflanzen: Die Effekte der landwirtschaftlichen Intensivierung, die erforderlich ist, um Flächen für Bioenergie ohne negative Auswirkungen auf die Nahrungsmittelversorgung bereitzustellen, führen zu umso höheren indirekten Treibhausgasemissionen pro Energieeinheit, je mehr Biomasse bereitgestellt werden soll. 

Landwirtschaftliche Intensivierung ermöglicht mehr Bioenergie, birgt aber auch große Risiken
In globalen Langfriststudien wird häufig davon ausgegangen, dass durch die steigende Effizienz in der Landwirtschaft weltweit große Flächen für die Produktion von Energiepflanzen frei werden. Landwirtschaftlicher Biomasse wird daher meist eine zentrale Rolle für ein zukünftiges, auf erneuerbaren Quellen basierendes Energiesystem zugeschrieben. Die Voraussetzungen dafür - nämlich eine weltweite Intensivierung der Landwirtschaft und massive Änderungen globaler Landnutzungsmuster - sind jedoch kritisch zu sehen.

Reduktionen des Fleischkonsums und Wiederaufforstung als Alternativen
Geringere Risiken und weitaus größere ökologische Vorteile als ein massiver Ausbau landwirtschaftlicher Bioenergie würde eine Neuausrichtung unseres gesamten Ernährungssystems bringen. Insbesondere eine Reduktion des Fleischkonsums auf ein laut Ernährungsempfehlungen gesundes Niveau würde die Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft sowie den Flächenbedarf deutlich reduzieren. Die so frei werdenden Flächen könnten auch ohne Umwidmung zu Energieplantagen dem Klimaschutz Vorschub leisten – und zudem ökologischen Problemen wie Biodiversitätsverlust entgegenwirken, wie Erstautor Gerald Kalt von der BOKU erklärt: „Naturnahe Wiederaufforstung stellt eine wirkungsvolle CO2-Senke mit positiven ökologischen Nebeneffekten dar. Das Forcieren dieser Senken sollte als zentrale Klimaschutzmaßnahme und Alternative zu Bioenergie ernsthaft in Erwägung gezogen werden.“ 

In der aktuellen Corona-Krise wird von der Internationalen Plattform für Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen (IPBES) auf den Zusammenhang zwischen Biodiversitätsverlust und der Ausbereitung von Zoonosen aufmerksam gemacht. Energiepflanzenanbau im großen Stil erhöht den Druck auf Flächen sowie die Gefahr von Biodiversitätsverlust durch Intensivierung und kann so auch zu einem höheren Risiko für die Entstehung neuer Krankheiten beitragen. 

Die Studie online: 
Kalt, G., Lauk, C., Mayer, A., Theurl, M.C., Kaltenegger, K., Winiwarter, W., Erb, K.-H., Matej, S., Haberl, H., 2020. Greenhouse gas implications of mobilizing agricultural biomass for energy: a reassessment of global potentials in 2050 under different food-system pathways. Environ. Res. Lett. 15, 034066. https://doi.org/10.1088/1748-9326/ab6c2e

Kontakt / Rückfragen:
DI Dr. Gerald Kalt
Universität für Bodenkultur Wien
Department für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
Institut für Soziale Ökologie
+43 (1) 47654 73744
gerald.kalt(at)boku.ac.at