Der Artenrückgang verläuft in Süßgewässern drastischer als im Meer und an Land. Trotzdem fließt nur ein verschwindend geringer Teil der Forschungsgelder in diesen Bereich. Forschende aus 38 Ländern und 88 Wissenschaftseinrichtungen, darunter die BOKU Wien, veröffentlichten nun eine gemeinsame Forschungsagenda in der Fachzeitschrift Ecology Letters. Insgesamt 15 Prioritäten sollen die Lücken schließen, um die biologische Vielfalt in Seen, Flüssen und Feuchtgebieten zu erhalten.

Die Artenvielfalt in Binnengewässern steckt in einer Krise. „Unter der Wasseroberfläche, vor aller Augen verborgen, schwindet die Biodiversität in Süßwasserökosystemen sowohl regional als auch global in einem noch nie dagewesenen Ausmaß“, erklärt Astrid Schmidt-Kloiber vom Institut für Hydrobiologie und Gewässermanagement an der Universität für Bodenkultur Wien. Die Forscherin ist Teil eines 95 Kopf starken Teams aus aller Welt, das eine Agenda zur Priorisierung von Forschungsthemen und zum Schutz der Süßwasser-Biodiversität erstellte. Initiiert wurde das Projekt von der deutschen Biodiversitätsforscherin Sonja Jähnig und ihrem Team. Gemeinsam entwickelten die Forschenden 15 Prioritäten in den Bereichen Dateninfrastruktur, Monitoring, Ökologie, Management und Sozioökologie. „Bei allen 15 Punkten gibt es derzeit Lücken, die wir aufzeigen und dadurch sowohl die Forschung als auch Forschungsgelder in diese Richtung lenken möchten“, so Schmidt-Kloiber.

Daten müssen digitalisiert werden

Der Schwerpunkt der Biodiversitätsforscherin liegt in der Dateninfrastruktur. Derzeit seien Daten über die Biodiversität in Süßgewässern häufig sehr verstreut und lückenhaft vorhanden. Außerdem sei Datenmanagement oft national oder sogar regional geregelt. Um fundierte Aussagen treffen zu können, müssten Daten europaweit und global mobilisiert werden. „Ohne Digitalisierung alter Daten können langzeitige Entwicklungen schlecht eingeschätzt und so Schlüsse wie etwa über den Klimawandel kaum gezogen werden“, erklärt Schmidt-Kloiber. Neben Wissenslücken identifizierten die Forschenden zwei weitere große Herausforderungen: Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Forschenden, Entscheidungstragenden und ausführenden Personen, sowie die mangelnde politische Umsetzung.

Süßwasser weit hinter marinen und terrestrischen Gebieten zurück

Der jüngste Living Planet Report des WWF zeigt einen durchschnittlichen Rückgang der Bestände um 84 Prozent innerhalb von 50 Jahren, in 3.741 untersuchten Populationen, welche 944 Süßwasserwirbeltierarten repräsentieren. Dies ist der stärkste Rückgang in den drei großen Bereichen – Land, Meere und Süßwasser.

Trotz dieser Zahlen gelingt es Entscheidungstragenden nach wie vor nicht der Biodiversität in Binnengewässern die notwendige Priorität einzuräumen. So zeigt zum Beispiel ein aktueller Bericht über die Umweltfinanzierung 127 europäischer Stiftungen: Lediglich 1,75 Prozent der insgesamt 745 Millionen Euro, die 2018 für die Umweltarbeit bewilligt wurden, entfallen auf Binnengewässer. Damit befinden sie sich an vorletzter Stelle unter den 13 thematischen Kategorien, die zur Bewertung der Fördermittel herangezogen werden. Oftmals werden Binnengewässer bei Land-Ökosystemen mitgeführt und dann in Finanzierungsplänen nicht ausreichend berücksichtigt. So kommen sie bei den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – kurz SDGs) der Vereinten Nationen ebenfalls nicht als eigener Punkt vor, sondern werden unter SDG 15: „Leben an Land“ geführt.

Biodiversität auch für Menschen wertvoll

In Österreich äußerte sich die Biodiversitätskrise erst jüngst erneut durch das Biodiversitätsbarometer, das der Biodiversitätsrat zum nun zweiten Mal veröffentlichte. Lob für die Politik bleibt dabei aus. Zwölf der 19 Punkte bewerteten die 20 Mitglieder des Rats mit Rot, sechs gelb und nur einen einzigen mit Grün.

Durch die 15 Punkte der Agenda will die internationale Forschungsgemeinschaft jetzt einen Impuls setzen. Zielgerichtet soll die Forschung zum Erhalt und zum Schutz der Biodiversität im Süßwasser vorangetrieben werden. Das Institut für Hydrobiologie und Gewässermanagement der BOKU Wien beteiligt sich dazu bereits am Projekt MERLIN, das ein ähnliches Ziel verfolgt, indem es die Wiederherstellung von Gewässerökosystemen vorantreibt. „Schließlich funktionieren gewisse Ökosystemleistungen wie die Selbstreinigung von Flüssen, die auch für das Wohlergehen der Menschen von großer Bedeutung sind, nur dann, wenn alle Glieder der Kette intakt sind“, erklärt Schmidt-Kloiber. Durch den Verlust von Diversität – Genen, Arten, Populationen, Gemeinschaften oder ganzen Ökosystemen – gehen auch wichtige Ökosystemleistungen verloren. „Außerdem hat jedes Lebewesen ein Recht zu leben und geschützt zu werden“, ist die Forscherin überzeugt.

Die Studie ist aktuell im Fachmagazin Ecology Letters erschienen:
https://doi.org/10.1111/ele.13931

Eine weitere Zusammenfassung der Studie finden Sie im Freshwater Blog:
https://freshwaterblog.net/

Kontakt
DI Dr. Astrid Schmidt-Kloiber
Universität für Bodenkultur Wien
Institut für Hydrobiologie und Gewässermanagement
E-Mail: ask(at)boku.ac.at
Tel.: +43 1 47654-81225