Was passiert, wenn Gewässerverbauung, Wasserkraftnutzung, Klimawandel und industrielle Landwirtschaft zusammenwirken? Was verursachen Wasserknappheit und Pestizidrückstände in Gewässern? Fragen wie diese haben Forscher*innen der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) mit Biolog*innen der Universität Duisburg-Essen (UDE) und weiteren europäischen Institutionen untersucht. Ihre Forschungsergebnisse sind jetzt in der Fachzeitschrift Nature Ecology & Evolution erschienen.

Das EU-Projekt MARS (Managing Aquatic ecosystems and water Resources under multiple Stress) untersuchte über eine Dauer von vier Jahren, wie durch Menschen verursachte Mehrfachbelastungen (Stressoren) in Flüssen und Seen zusammenwirken. Dazu betrachteten die Wissenschafter*innen Fließgewässer und Seen in ganz Europa. Es wurden bestehende, im Feld erhobene und experimentell ermittelte Daten auf unterschiedlichen räumlichen Skalen untersucht, um die kombinierten Effekte gleichzeitig wirkender Stressoren (etwa Gewässerbegradigung und künstliche Abflussschwankungen durch Wasserkraftwerke) auf aquatische Organismen (z.B. Fische, Makrozoobenthos und Algen) zu ermitteln.

In Österreich wurden sowohl Experimente durchgeführt (in den HyTEC Fliessrinnen in Lunz am See) als auch vorhandene Daten aus dem Nationalen Gewässerbewirtschaftungsplan ausgewertet (z.B. in den Einzugsgebieten der Drau und Mur).

1+1=3: Der additive Effekt zweier Stressoren
In Fließgewässern ist die tatsächliche, kombinierte Auswirkung zweier Stressoren oft größer als deren Summe, folglich ergibt 1+1=3. In diesem Fall wird von additiven Effekten gesprochen und es besteht die Gefahr, dass Art und Umfang notwendiger Sanierungsmaßnahmen falsch eingeschätzt werden, so Rafaela Schinegger vom BOKU-Institut für Hydrobiologie und Gewässermanagement. Wenn zwei Stressoren an einem Gewässerabschnitt gemeinsam vorkommen, so muss deren Interaktion genau betrachtet werden. Meist reicht es nicht, nur eine der beiden Belastungen zu reduzieren/minimieren, um einen nachhaltigen Gewässerschutz zu ermöglichen. Allerdings gibt es auch andere Formen des Zusammenwirkens unterschiedlicher Stressoren. So kann es auch vorkommen, dass zwei Stressoren antagonistische Wechselwirkungen zeigen, d.h. das Vorkommen eines Stressors mindert die Wirkung eines Anderen, was ebenso relevant ist für eine Maßnahmenplanung.

Kolleg*innen weiterer Partneruniversitäten haben zudem herausgefunden, dass in vielen Seen weiterhin eine Belastung durch hohe Nährstoffkonzentrationen vorliegt. Sie wird durch gleichzeitige Temperaturerhöhung (Klimawandel) oder Wasserknappheit verstärkt.

Kernaussagen des in „Nature Ecology & Evolution“ veröffentlichten Artikels:

  • Die Ergebnisse zeigen, dass in 39 % der analysierten Fälle nur einer der beiden Stressoren eine signifikante Wirkung hat, 28% der Stressorenkombinationen führen jedoch zu additiven und 33% zu interaktiven (antagonistischen, synergistischen, gegenläufigen oder umgekehrten) Effekten.
  • Stressoren und Stressor-Kombinationen sind in Flüssen variabler und werden stärker beeinflusst durch naturräumliche Gegebenheiten.
  • Während für Seen die Verringerung des Nährstoffeintrags am wichtigsten ist, insbesondere unter Berücksichtigung des Klimawandels, erfordern Flüsse Sanierungsmaßnahmen, die mehrere Stressoren gleichzeitig berücksichtigen. Zu den Optionen, die eine Minderung mehrerer Stressoren gleichzeitig bewirken, gehört z.B. die Einrichtung von Uferrandstreifen, die mehrere Stressoren (Nährstoffeintrag, Hydrologie, hydromorphologische Veränderung) gleichzeitig abschwächen können.

Download der Studie, Grafiken und weiteren Informationen: 
https://www.nature.com/articles/s41559-020-1216-4

Kontakt/Rückfragen:
Institut für Hydrobiologie und Gewässermanagement
Universität für Bodenkultur Wien

Dr. Rafaela Schinegger: E-Mail: rafaela.schinegger@boku.ac.at
Prof. Stefan Schmutz: E-Mail: stefan.schmutz@boku.ac.at
DI Stefan Auer: stefan.auer@boku.ac.at
Dr. Elisabeth Bondar-Kunze: elisabeth.bondar@boku.ac.at
Prof. Wolfram Graf: wolfram.graf@boku.ac.at
Dr. Lisa Schülting: lisa.schuelting@boku.ac.at

Website EU-Projekt MARS und Forschungsanlage Lunz/See:
http://www.mars-project.eu
http://hydropeaking.boku.ac.at/hytec.htm
https://freshwaterblog.net/